Wie hat sich die Mediennutzung von Jugendlichen während der Corona-Pandemie verändert? Erste Erkenntnisse zu den besonderen Umständen im Lockdown sammelte der Medienpädagogische Forschungsverbund Südwest bereits im Frühjahr 2020 in einer Sonderstudie (JIMplus 2020). Ende 2020 folgte dann die umfangreiche JIM-Studie 2020, die den von der Pandemie geprägten Medienkonsum genauer beleuchtet. Die wichtigsten Erkenntnisse, die sich daraus für die Fachkräfte der Jugend- und Suchtberatung ableiten lassen, fassen wir in diesem Artikel zusammen.
JIM-Studie 2020: Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Mediennutzung Jugendlicher
Eingeschränkte Freizeitangebote, Schulschließungen, Homeschooling: Das Leben von Kindern und Jugendlichen wurde während der Corona-Pandemie förmlich auf den Kopf gestellt. Nicht nur der geregelte Schulalltag ist in seiner bekannten Form entfallen, auch die sozialen Kontakte waren zu großen Teilen nur digital möglich.
Dass der Lockdown Auswirkungen auf das Mediennutzungsverhalten haben würde, war also früh abzusehen. Welche Erkenntnisse bisher gesammelt werden konnten und welche Relevanz diese pandemiebedingten Veränderungen für die Jugend- und Suchtberatung haben kann, fassen wir für Sie in diesem Artikel kurz zusammen.
Für die JIM-Studie 2020 wurden 1.200 Jugendliche im Alter zwischen 12 und 19 Jahren befragt. Die Befragung wurde telefonisch und online im Zeitraum vom 8. Juni bis 20. Juli 2020 durchgeführt.
Gesteigerter Medienkonsum während der Corona-Pandemie: Gerätebesitz & Nutzungszeiten
Bundesweite Schulschließungen und weggebrochene Freizeitaktivitäten sorgten im Jahr 2020 dafür, dass das alltägliche Leben der meisten Kinder und Jugendlichen noch mehr als zuvor von digitalen Medien geprägt wurde.
Allein für Fernunterricht und Homeschooling war eine verstärkte Nutzung von Bildschirmmedien erforderlich, aber auch im privaten Rahmen stiegen die Mediennutzungszeiten während der Corona-Krise.
Veränderungen im Gerätebesitz
Die meisten Kinder und Jugendlichen wachsen heute selbstverständlich mit einem breiten Angebot an Mediengeräten im Haushalt auf. Im Jahr 2020 ist allerdings auch sichtbar, dass immer mehr Jugendliche über eigene Computer, Laptops oder Tablets verfügen. Das kann unter anderem darauf zurückzuführen sein, dass viele Kinder und Jugendliche neue Geräte benötigten, um besser am digitalen Unterricht teilnehmen zu können.
- Die Zahl der Jugendlichen, die einen eigenen Computer oder Laptop besitzen, stieg von 65 % im Vorjahr auf 72 %.
- 38 % der Jugendlichen gaben an, ein eigenes Tablet zu besitzen – 2019 waren es nur 25 %.
Aber auch im Freizeitbereich ist die Veränderung beim Gerätebesitz sichtbar: Während im Jahr 2019 nur 20 % der Jugendlichen ein TV-Gerät mit Internetzugang besaßen, waren es 2020 bereits 34 %. Anders als bei gemeinsam genutzten Geräten in der Familie, die nicht ständig zur Verfügung stehen, ist durch private Geräte natürlich eine intensivere und häufigere Nutzung möglich.
Welche Erkenntnisse zur Mediennutzung von Jugendlichen in der ersten Phase der Pandemie gesammelt werden konnten, können Sie in unserem Bericht zur JIMplus 2020-Zusatzuntersuchung für Fachkräfte und dem Artikel „Homeschooling während der Corona-Krise“ nachlesen.
Anstieg der Nutzungsdauer
Allein aufgrund des Fern- und Hybridunterrichts stiegen die Bildschirmzeiten der meisten Jugendlichen im Schuljahr 2020/2021 an. Doch auch in der Freizeit beschäftigten sich Jugendliche verstärkt mit digitalen Medien, da alternative Freizeitbeschäftigungen oft nur eingeschränkt oder gar nicht zur Verfügung standen und digitale Kommunikation häufig auch den einzigen Kontakt zum Freundeskreis darstellte.
- Wie auch im vergangenen Jahr 2019 gaben 89 % der Befragten an, täglich online zu sein. Die Nutzungszeit stieg 2020 jedoch stark an: Nach eigener Einschätzung nutzen Jugendliche im Durchschnitt 258 Minuten pro Tag das Internet – das sind 53 Minuten mehr als im Vorjahr.
- Am meisten Zeit verbringen Jugendliche mit Unterhaltungsangeboten im Internet (34 %), danach folgen die Bereiche Kommunikation (27 %) und Gaming (28 %). Die Informationssuche im Internet stellt den kleinsten Bereich dar (11 %).
- Im Vergleich zu vorherigen Jahren ist dabei auffällig, dass die Bedeutung von Unterhaltungsangeboten gestiegen ist, während der Stellenwert von Kommunikationsmöglichkeiten leicht gesunken ist. Der Messaging-Dienst WhatsApp wird von 82 % der Befragten aber weiterhin als wichtigste App genannt.
- Unterhaltung nimmt sowohl bei Mädchen (37 %) als auch bei Jungen (32 %) einen hohen Stellenwert ein. Ansonsten zeigt sich bei der inhaltlichen Verteilung, dass Mädchen Kommunikationsangebote (33 %) stärker nutzen, während bei Jungen wiederum Spiele eine höhere Bedeutung haben (34 %).
- Auch die Zeit, die Jugendliche mit digitalen Spielen verbringen, hat 2020 deutlich zugenommen: Werktags verbringen Jugendliche etwa 121 Minuten mit digitalen Spielen. Die durchschnittliche Spieldauer ist im Vergleich zum Vorjahr um 40 Minuten angestiegen. Am Wochenende liegt die Spielzeit im Durchschnitt bei 145 Minuten (2019: 117 Minuten). Unter den befragten Jungen gaben 23 % an, täglich sogar 4 Stunden oder mehr zu spielen.
- Ein starker Anstieg ist auch bei der Fernseh-Nutzungsdauer zu verzeichnen: Werktags schauen Jugendliche nun durchschnittlich 137 Minuten fern, also 30 Minuten länger als noch 2019.
Anhand dieser Zahlen ist leicht erkennbar, dass sich die Auswirkungen der Corona-Pandemie stark im Mediennutzungsverhalten niederschlagen. Da alternative Freizeitaktivitäten stark eingeschränkt waren, schienen sich viele Jugendliche verstärkt digitalen Unterhaltungsangeboten und Videospielen zuzuwenden. Durch Fern- und Hybridunterricht sowie Kontaktbeschränkungen verlagerte sich auch die Kommunikation innerhalb des Freundeskreises, der Schulklassen und mit den Lehrkräften noch stärker in den digitalen Bereich.
Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Mediensuchtberatung
Im Jahr 2020 hat sich das Mediennutzungsverhalten der meisten Jugendlichen in verschiedenen Bereichen verändert. Im Lockdown wendeten sich viele Heranwachsende durch fehlende Alternativen und Kontaktbeschränkungen verstärkt den digitalen Medien zu – die erhöhte Nutzungsdauer wird in der JIM-Studie 2020 deutlich sichtbar.
Welche langfristigen Auswirkungen die Corona-Pandemie auf das Mediennutzungsverhalten von Kindern und Jugendlichen nimmt, kann zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorausgesagt werden. Der gestiegene Medienkonsum kann einerseits eine pandemiebedingte Besonderheit sein, kann andererseits aber auch nachhaltigen Einfluss auf die Mediennutzung von Heranwachsenden nehmen.
Wie diese Entwicklungen die Arbeit von Fachkräften in der Jugend- und Suchtberatung beeinflussen werden, steht ebenfalls noch nicht zweifelsfrei fest. Betrachtet man die Ergebnisse der JIM-Studie 2020 sowie der Corona-Zusatzuntersuchung JIMplus, sind jedoch einige Veränderungen denkbar:
- Da durch Hybridunterricht und E-Learning höhere Bildschirmzeiten für Schülerinnen und Schüler zu erwarten waren, rückte das Mediennutzungsverhalten Jugendlicher erneut in das Zentrum der Aufmerksamkeit. Die Problematik einer exzessiven Mediennutzung wird dadurch häufiger thematisiert, wodurch die Nachfrage (und vermutlich auch das Angebot) für Hilfs- und Beratungsangebote steigen könnte.
- Ob im Homeschooling oder beim Arbeiten im Homeoffice – die rein digitale Kommunikation ist durch die Pandemie zur Selbstverständlichkeit geworden. Online- oder Chat-Sprechstunden können auch im Bereich der Suchtberatung von Vorteil sein, da sie eine ortsunabhängige und zeitlich oft flexiblere Betreuung ermöglichen. Das kann vor allem den Einstieg in Beratungsangebote erleichtern und eine Überleitung in andere Therapieformen erleichtern.
- Die Normalisierung der kontaktlosen Beratung kann in der Mediensuchtberatung den Vorteil haben, dass betroffene Jugendliche Hilfsangebote über ihnen vertraute Kommunikationswege wahrnehmen können. Insbesondere bei Jugend- und Suchtberatung kann die Kontaktaufnahme per E-Mail, Messenger-Dienste, Live-Chats oder Telefon dabei helfen, Hemmschwellen zu überwinden.
- Durch die verstärkte Digitalisierung im schulischen Bereich ist die Vermittlung einer gesicherten Medienkompetenz unabdingbar geworden. Um Eltern und Lehrkräfte bei der Medienerziehung zu unterstützen, können verstärkt Informations- und Beratungsangebote der regionalen Jugend- und Suchtberatungsstellen genutzt werden. Eine enge Zusammenarbeit der erwachsenen Bezugspersonen, Lehrkräfte und Fachkräfte ist vor allem ratsam, wenn bei einzelnen Jugendlichen bereits der Verdacht auf ein problematisches Nutzungsverhalten besteht.